UND NUN, LIEBE KIRCHE?

Karl Georg Haubelt
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Unsere Kirche hat sich voll hinter die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie gestellt. Haben wir vielleicht des Guten zu viel getan?

Das glaube ich nicht. Wir haben weder auf unsere grundgesetzlich geschützte Religionsfreiheit verzichtet, noch haben wir uns als Kirche in die unsichtbare Nische zurückgezogen. Die vorübergehende Einstellung von Präsenzgottesdiensten war ein Gebot der Nächstenliebe. Insbesondere in den ersten Wochen Ende März war ja auch überhaupt nicht absehbar, wie sich die Pandemie in Bayern ausbreitet. Berichte aus anderen Teilen der Welt, in denen gerade Gottesdienste zum Epizentrum der Seuche geworden waren, haben uns da sicherlich ebenfalls ins Nachdenken gebracht. In Abwägung der Schutzgüter untereinander – du hörst hier natürlich den Rechtswissenschaftler heraus – haben wir uns auch rückblickend als ELKB hier meiner Ansicht nach völlig richtig verhalten.

 

Man könnte auf den Gedanken kommen, dass all das, was jetzt nicht stattfindet, auch nicht unbedingt nötig war. Wirklich?

Nein. Hier widerspreche ich ganz heftig. Stell dir mal vor, wir würden etwa künftig auf Präsenzgottesdienste, Besuche, Chorproben, aber auch Weiterbildungsangebote oder Kundgebungen verzichten… Aber sicherlich wird es „nach Corona“ auch eine Zeit der Reflexion geben müssen, in der wir unsere in den letzten Wochen gemachten Erkenntnisse noch einmal ganz neu bewerten müssen.

 

Neben den harten Einschränkungen des kirchlichen Lebens droht der ELKB auch ein finanzieller Aderlass. Es ist (Stand Mai) mit Einnahmeausfällen und Sonderbelastungen von 135 Mio. € zu rechnen. Droht uns eine neue „Giftliste“ von Einsparungen wie 2003, und wen wird es besonders treffen?

Eine „Giftliste“ ist gerade nicht vorgesehen. Als gute Haushalter des uns ja von den Kirchensteuerzahlerinnen und –zahlern anvertrauten Geldes müssen wir aber natürlich verantwortungsvoll agieren. Das heißt für mich zum Beispiel schon, dass es völlig angebracht war, angesichts der massiven Steuereinbrüche einen Nachtragshaushalt aufzulegen. Unsere Kirchenverfassung hat da in weiser Voraussicht Instrumente vorgesehen, auf die wir in der völlig unvorhersehbaren Pandemiesituation zurückgreifen konnten. Wichtig ist für mich aber auch in der Zukunft das klare Signal, dass wir auch in Krisenzeiten als Kirche verlässlich handeln. Vor allem gegenüber den Menschen, die bei uns beschäftigt sind. Aber auch gegenüber den Kirchengemeinden, mit denen wir ja im gemeinsamen Steuerverbund sind. Wie weise stellt sich nachträglich unsere in Bad Reichenhall getroffene Entscheidung der Landessynode heraus, den Kirchengemeinden feste Zuweisungen unabhängig vom Steuerertrag zuzuweisen. Damals wurden die Befürworter angegriffen, weil hier möglicherweise den Gemeinden Geld zu Gunsten des landesweiten Dienstes wegenommen werden könnte, so damals der unterschwellig und auch offen geäußerte Verdacht. Heute hört man von den damaligen Kritikern nichts mehr. Unsere Gemeinden sind aber jedenfalls erst einmal in einer deutlich entspannteren Situation als die Landeskirche, auch wenn natürlich Kollekten derzeit auch vor Ort wegfallen. Genau hinschauen werden wir in der Landessynode aber auch auf die landesweiten Dienste selber. Aufgaben fallen ja nicht weg, wenn Geld weniger wird. Die Folgen der Kurzarbeit wirken sich nicht nur bei den Steuereinnahmen aus, sondern vor allem und viel mehr bei den betroffenen Arbeitnehmerinnen und  Arbeitnehmern. Hier sind also verstärkte Einsätze in Aufgabenbereichen wie KDA, afa und Diakonie absehbar.

 

Gerade haben wir mit „Profil und Konzentration“ einen Prozess der Neuausrichtung in Gang gebracht. Wird „Profil“ künftig vor allem vom Geld bestimmt werden und eine „Konzentration“ auf den kirchlichen Normalbetrieb mit sich bringen?

Das sehe ich derzeit nicht. Mit PuK hat die letzte Landessynode vielmehr wirklich gute Vorarbeit geleistet. Wir haben meiner Meinung nach vor allem theologisch reflektiert und das Geld spielt erst eine nachgeordnete Rolle. Aber natürlich hast du Recht, dass verfügbare Mittel eine Voraussetzung von vielen für unser kirchliches Handeln sind.

 

Die „Corona“-Krise ist ein gesellschaftlicher Einschnitt, wie wir ihn noch nie hatten. Wird es danach nach einer Schrecksekunde weiter gehen wie vorher, oder siehst du die Chance eines neuen Aufbruchs in unserer Gesellschaft?

Nach Corona kann es nicht mehr einfach zur Tagesordnung zurück gehen. Da sind zu viele Dinge geschehen. Vieles Gute hat sich entwickelt, das auch nach der Pandemiesituation erhalten werden kann. Ich denke da kirchlich zum Beispiel an gute Erfahrungen und Formate im Bereich des Internets. Gesamtgesellschaftlich sehe ich aber auch die zunehmende Gefahr der Polarisierung. Menschen hören einander immer weniger zu, verantwortlich getroffene Entscheidungen der Politik werden mit grotesken Argumenten in Frage gestellt. Man denke nur an die Demonstrationen nach Ostern, bei denen Rechtsradikale nur zu gerne auf den Zug von Esoterikern und Impfgegnern aufgesprungen sind. Hier suche ich auch für mich immer noch nach Antworten, wie die Spaltung der Gesellschaft wieder in ein soziales Miteinander geführt werden kann.

 

Karl Georg Haubelt
aus Amberg 
ist Mitglied der Landessynode und des Landessynodalausschusses
der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.

Das Interview wurde geführt von: Dr. Hans-Gerhard Koch